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Religion – Alpha aut Omega?

Wussten Sie auch das schon?

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Religion – Alpha aut Omega?

oder: Nicht alles ist so, wie wir es uns wünschen, Kind.

Wenn schon wir die Unwägbarkeiten des Lebens nicht im Griff haben, denn eben die Götter. Wir verstehen sie zwar nicht, aber es läuft trotzdem alles nach Plan – der Witz dabei, wenn nicht du gar nicht selbst die Herrschaft über das Geschehen hast? Du brauchst dir einerseits Zufälle nicht zu erklären, die du nicht im „Wissen“ hast und kannst andererseits dennoch unbesorgt sein, weil immer noch „Irgendjemand“ das leistet. Und das genügt doch! Denn bei diesem Jemand kannst du dich anbiedern und das hast du als Kind gelernt

Religion prägt unsere Welt in einem Maße, die uns ihren Einfluss zur Selbstverständlichkeit werden lässt…

aber Selbstverständlichkeiten gibt es nicht.

Es heißt, dass Menschen die Höhlenbilder aus kultischen Gründen malten, sie versuchten dadurch Jagdmagie anzuwenden, genauso, wie sie bereits vor 30.000 Jahren einen Mondkalender schufen, um religiöse Bedürfnisse zu befriedigen. Sie stellten die Sternbilder als Figuren am Gestirn auf, um die Geschichte und den Willen der Götter aufzuzeichnen und in Harappa und Mohendjo-Daro folgten sie den bemerkenswerten Reinlichkeitsbedürfnissen vermutlich ebenfalls nur aus kultischen Gründen. Denn, so denken sich manche Archäologen (von denen jeder mindestens ein Bad in der eigenen Wohnung hat), von Hygiene wussten die Alten wahrscheinlich nichts. Außerdem würde schon die Lage des Großen Bades darauf hinweisen, dass es rituellen Zwecken gedient hätte, weil es zusammen mit anderen großen Gebäuden, die vermutlich mit Religion zu tun hatten, vorgefunden wurde („Die ersten Städte“, Dora Jane Hamblin, Time-Life International B.V, S. 124).

Nicht die Sprache zeichnet die Menschen aus, sondern ihr religiöses Empfinden - glauben viele. Zwar soll, wie ich mich dunkel erinnere, ein solches Empfinden auch bei Schimpansen rudimentär schon beobachtet worden sein, doch kultische Handlungen sind bei ihnen wohl kaum zu bemerken. Wie ein solch abstraktes Empfinden erkennbar sein könnte? Durch ein „schlechtes Gewissen“ möglicherweise, was wiederum als Indiz für die Erkenntnis von „gut“ und „böse“ gewertet werden kann.

Nun ja, dies lässt sich auch eher pragmatisch herleiten: Das schlechte Gewissen und die daraus resultierende diffuse Angst vor Bestrafung kann als Folge davon angesehen werden, mit einer Gruppe auskommen zu müssen, die einem letztendlich das Überleben garantiert.

Physik der Information, ISBN 3-935031-03-3,
Informationsverarbeitung, Realität und Rückkoppelungseffekte, S. 232

„Wissen solche Affen, dass sie etwas, was sie sich wünschen, nicht unter normalen Verhältnissen bei ihren Gruppenmitgliedern erreichen können, so setzen sie ganz gezielt Täuschungsmanöver ein. Einer jungen, in der Rangordnung weit unten stehenden Schimpansin wurde im Experiment ein prächtiger Apfel angeboten. Sie wusste genau, dass die höherrangigen Affen ihr diesen Apfel streitig machen würden, also versteckte sie ihn und tat völlig gleichgültig solange, bis sie sich unbeobachtet fühlte. Anstatt ihrer „Pflicht“ zu gehorchen und die Gruppe auf die Nahrung hinzuweisen, verbarg sie die Information und nutzte sie nur für sich selbst, indem sie die Informationen einer Situation verteilte, die „ohne Apfel“ war.“

Die (lügende!) Schimpansin verheimlichte definitiv das Versteck des Apfels vor den anderen und das wiederum heißt, dass sie sich eines Risikos bewusst gewesen sein muss: Erstens, den Leckerbissen zu verlieren und zweitens, erwischt zu werden. Angst vor Bestrafung war damit sicher auch verbunden. Und schlechtes Gewissen? Wenn Hunde und Katzen schon ein schlechtes Gewissen haben können, was aus dem direkten Wissen, gegen „Herdenregeln“ verstoßen zu haben, stammt, sollten Schimpansen dazu wohl auch in der Lage sein. Schließlich hat Mutter Natur uns allen Anstand als Verteidigung von Systeminteressen einprogrammiert – der Gang des menschenverachtenden Firmenbosses zur Domina wird von Psychologen oft genau dadurch erklärt, dass das verdrängte Schuldbewusstsein der Bosse nach einer Bestrafung sucht, genau wie es verwöhnte Kinder tun sollen, die von ihren Eltern nicht ins Gebet genommen wurden. Ihren Alpträumen wird eine ähnliche Funktion zugesprochen wie die Domina: Die auftauchenden Monster rächen die ungesühnten Missetaten.

Das macht auch Sinn: Denn die Soziomathematik (Sozionik: der wissenschaftliche Versuch, soziales Verhalten von an sich egoistischen Individuen durch mathematische Modelle zu erklären) legt nahe, dass Gesellschaften mit Erinnerung zu kooperativem Verhalten tendieren.

„Spektrum der Wissenschaft“, 09/1998, „Warum Geben (manchmal) seliger ist denn Nehmen“, Michael Springer, S. 30, ISSN 0170-2971
(Copyright © Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft Heidelberg 1974-2000: Zitate mit freundlicher Genehmigung v. 02.11.1999)

„Aber auch unter nicht verwandten Egoisten kann sich, wie einfache spieltheoretische Modelle gezeigt haben, Zusammenarbeit entwickeln, da letztendlich alle davon profitieren. Der einfache Star unter den erfolgreichen kooperativen Strategien ist Tit for Tat (Wie du mir, so ich dir); dieses simple Programm beginnt kooperativ, zahlt eine etwaige Rücksichtslosigkeit des Spielpartners mit gleicher Münze heim und kehrt dann wieder gutmütig zur Kooperation zurück (Spektrum der Wissenschaft, August 1995, S. 46).

Auch dieses Erklärungsmodell setzt freilich voraus, daß die Beteiligten einander immerfort über den Weg laufen: Nur so können sie die Handlung einem bestimmten Partner zuordnen und ihm gezielt Gleiches mit Gleichem (oder Verschiedenem) vergelten.“

Nun ja, Erinnerung an einzelne Personen ist in unseren globalen Gesellschaften sicher noch weitaus unwahrscheinlicher als in den mittelalterlichen Städten, obwohl sie dort schon höchst eingeschränkt war. Dennoch macht dieser wissenschaftliche Versuch sehr einleuchtend die freundliche Art der in Familiengruppen lebenden Tuwa plausibel.

Den steigenden Grad an Informationsverlust über Gruppenmitglieder, den die zwangsweise sinkende Kommunikation zwischen Einzelpersonen in städtischen Umgebungen mit sich bringt, zeigen denn auch die Ergebnisse der Sozionik mit realitätsnäheren Modellen an: So verliert sich die kooperative Neigung von Individuen mit wachsender Gruppenstärke rasch:

„Warum Geben (manchmal) seliger ist denn Nehmen“, Michael Springer, S. 33

„Unter diesen Umständen hängt es von der Populationsgröße ab, ob weitgehende Kooperation entsteht und sich stabilisiert: Während bei insgesamt 20 Spielern der Trend zur Großzügigkeit deutlich und bei 50 noch merklich vorhanden ist, setzen sich bei 100 Mitwirkenden letztendlich die Rücksichtslosen durch.“

Wieso also Schuldbewusstsein, gar Moralvorstellungen, wenn Rücksichtslosigkeit das Erfolgsmodell ist?

So einsichtig das realitätsnähere Modell heutige Verhältnisse erklärt, so treffend war sicher das erste Modell der „direkten Reziprozität“ zum Zeitpunkt, als das menschliche Gehirn seine Instinkte und Gefühle ausbildete. Mutter Natur kann schließlich auch nur entwickeln, was sie kennt, zumal mit ihrer Versuch&Irrtum-Methode von Mutation und Selektion. Ein wichtiges Element, mit dem das menschliche Hirn seinerzeit zurechtkommen musste, war – so als Herdentier – unbezweifelbar die eigene Herde, bestehend aus einzelnen Mitgliedern. Deshalb ist ein Großteil der grauen Masse darauf optimiert, Gesichter zu interpretieren, um soviel als möglich von deren „geheimen Gedanken“ zu erhaschen. Cui Bono ist schließlich eine wertvolle Information in der Realität dritter Stufe.

Darüber hinaus ist das Gehirn imstande, Informationen über eine ganze Menge von Leuten parallel im Kopf zu behalten, schlicht und ergreifend, um die eigene Herde „im Wissen“, also in der eigenen Abbildung zu haben, um sie, genau wie alle anderen „gewussten“ Elemente, einschätzen zu können, sprich ihre Reaktionen auf gewisse Ereignisse vorherzusehen. Dafür ist schließlich Information immer da: zur Prognose (Stichwort Bertrands Paradox).

Diese Anzahl von Personen, die das Gehirn für seinen Gruppenüberblick beherrscht, ist jedoch für heutige Verhältnisse ziemlich lächerlich: Knappe 150 Leute sollen es gerade mal sein. Zur Zeit der Entwicklung dieser Gehirnkompetenz war dies jedoch sicher gewaltig, denn die Familienstärke von Frühmenschen unterschied sich wohl nicht wirklich tiefgreifend von der der Primaten.

Und auf dieser Ebene funktioniert das Modell der direkten Reziprozität recht eindeutig hin zur Kooperation, weil die Erinnerung der Individuen an die Handlungen anderer Mitglieder der Gruppe ungetrübt ist. Tit for Tat ist hier nicht nur erfolgreiche Strategie, um die Mitarbeit von rücksichtsloseren Mitspielern zu „fördern“, es ist auch die einzige Strategie, um nicht durch fehlende Wehrhaftigkeit selbst unterzugehen – und damit letztendlich den Gruppenerhalt zu gefährden. Nach der „Rache“ aber muss, zum Wohle der Gruppe, alles als erledigt betrachtet und somit zur kooperativen Haltung zurückgekehrt werden.

Die Entstehungsgeschichte von Anstand als „System-Egoismus“ der Gruppe ist deshalb recht nahe liegend und Schuldgefühle als Resultat der Verletzung ebenso: Denn wer das Interesse eines Gruppenmitglieds verletzt, muss mit einem Gegenschlag des Geschädigten rechnen, der aus dem ganz normalen Egoismus eines Individuums handelt – und es in diesem Fall auch darf, denn um eine Herde in der Wildnis überleben zu lassen, bedarf es der Kooperation. Wer diesen Grundsatz verletzt, setzt sich ins Unrecht und kann nicht mit Hilfe von dritter Seite rechnen. Kooperation zwischen Egoisten wird nun einmal nur durch Interessenausgleich – Gerechtigkeit – gesichert.

Niemand sollte hier den Fehler der frühen Anthropologen machen und mit heutigen Maßstäben an solche gefühlsmäßigen Regungen in Menschen herangehen. Das aber wird getan, wenn Religiosität als Erklärung historischer Ereignisse im Spiel ist – denn sie ist, wie es scheint, eine überwiegend menschliche Erscheinung, praktisch unbekannt im Tierreich. Doch wann trat sie auf? Bei den diffusen Emotionen der Primaten, bei den Vormenschen, bei den Neandertalern oder gar erst bei den Höhlenmenschen? Oder noch später?

Kultische Rituale sind selbstverständlich – für uns Heutige, da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber seit wann ist das so? Das Einzige, was wir zuverlässig wissen, ist das, was uns schriftlich überliefert wurde. Die Mythen der Ägypter und Griechen und Römer sind handfeste Beweise für Religiosität, für Tempelbau, Kulthandlungen und Götterverehrung.

Wie aber steht es mit den Höhlenmalereien, dem Mondkalender und den Sternbilder – oder gar mit der Reinlichkeit der frühen Inder?

Gerade letzteres ist für Katzenliebhaber nicht notwendig ein Zeichen von Religiosität, Reinlichkeit ist einfach gesund. Vögel und Nager halten ihr Nest sauber, Tiere putzen sich, nicht als kultische Handlung, sondern um Ungeziefer zu entfernen und ihr Haar- oder Federkleid funktionstüchtig zu halten.

Warum also sollten frühe Menschen nicht reinlich gewesen sein?

Nur weil die Aristokraten des Sonnenkönigs sich wohl wie Schweine aufführten und den Geruch ihrer ungewaschenen Körper mit Parfüm zu übertünchen versuchten? Frühere Kulturen sahen in vielen Dingen völlig anders aus als die modernen oder die mittelalterlichen, sie waren wohl egalitär statt aristokratisch organisiert, sahen Mutter Natur nicht als etwas an, was man „sich untertan machen“ muss, sondern als etwas, was Respekt verdient, und auch der weibliche Einfluss war unübersehbar. Frauen sind freilich bekannt für ihre Reinlichkeit, nicht wahr? Warum sollte also eine Kultur, die einen starken weiblichen Anteil am sozialen Leben demonstriert, wie es Harappa und Mohendjo-Daro in ihren Hinterlassenschaften tun, nicht auch „weibliche Schwächen“ aufweisen?

Außerdem geben die Höhlenmalereien schon Hinweise darauf, dass Medizin eine bedeutende Größe bereits in diesen Zeiten war. Schließlich war einerseits die Geburt ein Problem beim Homo Sapiens, andererseits das Jägerleben, das zu vielen Verletzungen führte, die bis heute an den Skeletten nachweisbar sind – hier Abhilfe zu kennen, war vielleicht genau der Punkt, der diese Menschenrasse die anderen überleben ließ. Medizinkenntnisse lassen sich gerade in frühen asiatischen und indischen Kulturen schließlich sehr weit zurückverfolgen.

Was also ist so abwegig daran, dass die hoch entwickelte Ingenieurskultur von Mohendjo-Daro auch entwickelte Medizinkenntnisse besaß und demnach über Hygiene Bescheid wusste? Schließlich können sogar die Höhlenmalereien unabhängig von Schamanenzauber interpretiert werden. Besonders die schönen Gemälde von Chauvet werden heute überwiegend als richtige, komplexe Geschichten verstanden. Sicher haben sich die Alten Gedanken über Sinn und Unsinn des Lebens gemacht, über Leben und Tod, ihre Hinterlassenschaften lassen sich freilich sehr viel „erwachsener“ erklären als mit Voodoo. So gibt es gar einen verzierten Knochen, den Lochstab von Gourdan, der die Stockwerke der Welt darstellen soll und somit als erstes Physikbuch der Welt angesehen werden kann – wenn Physik als das Wissen der Zeit über Natur verstanden wird.

Das wiederum – Wissen über die Abläufe der Natur - ist lebensnotwendig, besonders für Naturvölker. Warum also sollten diese Gemälde nicht eine Art von „Wissensdatenbank“ sein, eine frühe Form von Schule vielleicht, die zeigt, wie sich Jagdbeute verhält und welche Werkzeuge und Verhaltensweisen zu verwenden sind, um Jagd erfolgreich zu gestalten?

Müssen unsere Archäologen erst Hamilton-Operatoren an den Wänden finden, um zu akzeptieren, dass hier möglicherweise frühe Wissenschaftler am Werk waren? Wissenschaftler, die eben noch auf keine 5000 Jahre Mathematik und Naturbeobachtung zugreifen konnten, sondern erst einmal die Schrift als grundlegendes Instrument dafür erfinden mussten, um ihre „Experimente mit Jagdbeuten“ zu beschreiben?

Physik der Information, ISBN 3-935031-03-3,
Archaische Kodierung, S. 66

„Die frühen Menschen hatten nur ihre Augen und Ohren und Fantasie. War es da ein Wunder, dass sie nicht sofort die Quantenphysik erfanden?

Was sie aber erfanden, war die Wissenschaft an sich. Sie begannen ihre Ideenwelt in Symbole abzubilden, deren charakteristische Eigenschaften mit denen der abgebildeten Ideen übereinstimmten und sie waren fähig, geometrische Elemente wie Punkte und Linien in unwahrscheinlichen Kombinationen als tauglich zu erkennen, Information zu enthalten, ganz, wie die moderne Wissenschaft dies seit Shannon fordert.

Sie waren fähig, Information gezielt zu übertragen.“

Und auch wenn kultische Rituale immer als Erklärung herangezogen werden – dass die Höhle von Chauvet Geschichten erzählt, also Information überträgt, ist heute eine weit verbreitete Ansicht.

Und es macht Sinn, Geschichten zu erzählen. Nicht erst seit Grimm dienen Geschichten dazu, Informationen über Personen oder Ereignisse zu verbreiten oder Kindern die eigene Kultur beizubringen, Menschen tun das seit Ewigkeiten. Geschichtenerzähler sind in vielen Gegenden dieser Erde hoch angesehene Leute, sie bilden die Brücke, die eine intelligente Gesellschaft braucht, um ihre für die Information so wichtigen Zustände abzugleichen.

Angesichts der wenigen klaren Fakten, die wir von der Steinzeit wissen, ist diese Erklärung sicher auch nicht unwahrscheinlicher als ein kultischer Hintergrund, bei dem Zaubersprüche die Tiere erlegen sollen, zumal sie im Gegensatz zu Magie einen Nutzen zeigt, der die Handlungen plausibel macht. So wie Gesunderhaltung bei Reinlichkeit…

oder das Wissen darum, wie sich das Wetter verändert, was für Jäger und Sammler sicher höchst wichtig war – zu wissen, wann der Winter kommt, wann der Sommer vorüber ist. Menschen haben dies nun mal nicht in den Genen wie Zugvögel oder Laubbäume, sie stammen schließlich aus Afrika. Und was hilft zuverlässiger als eine Uhr, die Zeit zu bestimmen?

Diese Uhr könnte der Mondkalender gewesen sein, der die tagesgenauen Veränderungen des Mondes als Messwerkzeug benutzte, wie es Alexander Marshack behauptet. Das hätte nicht nur den Vorteil gehabt, über Monatsmessung das Fortschreiten der Jahreszeiten zu bestimmen, sondern vielleicht ganz banal: um sich auch zu verabreden – möglicherweise hatten die verschiedenen Familiengruppen weitaus mehr Kontakt untereinander, als wir Heutigen ihnen das zugestehen wollen. Wenn berücksichtigt wird, dass bereits vor über 5000 Jahren ein kontinentaler Handel fest etabliert war, der uns über Schrift nachweisbar überliefert wurde, wenn berücksichtigt wird, dass sich die frühe Kultur der Höhlenmaler in vielen Aspekten (wie Mondkult oder die Farben Schwarz und Rot) von China bis nach Ägypten wieder finden lässt, dann dürfte es nicht zu gewagt sein zu vermuten, dass die Menschen schon vor 30.000 Jahren sozialen Kontakt über Familienebene hinaus pflegten.

Und dazu müssen gelegentlich auch Zeitpläne untereinander abgestimmt werden.

Bei all diesen Beispielen – Mondkalender, Höhlenmalereien und die Reinlichkeitswut der frühen Inder – lässt sich demnach ein sehr praktischer Grund finden, warum die Menschen taten, was sie taten.

Doch Sternzeichen?

Bilder am Himmel?

Die können nicht von Nutzen gewesen sein – das muss der schlagende Beweis für die überwältigende Macht der Religion in menschlichen Herzen sein, das kann selbstverständlich nicht anders erklärt werden...

aber Selbstverständlichkeiten gibt es nicht.

Eine ganz fantastische und überaus nützliche Erklärung bietet ein Artikel im Technik Forum des VDI Nordbaden und VDE Kurpfalz in seiner Ausgabe 3/2004 auf Seite 9:

GPS schon in der Steinzeit? Wie Steinzeitingenieure die Meere befuhren“, Dominique Görlitz und Helge Wirth, StR Geograph, Vortrag im Mai bei der VDI-Bezirksgruppe Frankenthal/Worms:

Sie sprechen von einem weltumspannenden Navigationssystem, was der Grund sei, warum die ältesten Sternbildzeichner, von denen wir per Schrift wissen (die Sumerer), den Teil des Himmels „Meer“ nannten, in dem die meisten der Sternbilder zu finden sind, die im Artikel angeführt wurden - nicht nur verbal beschrieben, sondern mit Bildern, die einige Sternzeichen auf die Landkarten der entsprechenden Küstenregionen projizieren, um die Übereinstimmung zu zeigen. Und wohlgemerkt: Die Übereinstimmung bezieht sich nicht nur auf die Sternbilder selbst, sondern sogar auf die relative Anordnung! Das heißt, dass Skorpion, Waage und Jungfrau oder Schütze, Steinbock und Wassermann sich am Himmel anordnen wie ihre passenden Küstenregionen auf der Erde.

Diese Sternbilder waren Landkarten.

Das klingt höchst absurd, nicht wahr?

Andererseits – für Atheisten mag der „religiöse Trieb“ absurd klingen…

warum also nicht an die Auseinandersetzung mit historischen Tatsachen herangehen wie an alle anderen Fragestellungen? Mit der Frage Wie, Warum und Wozu, mit der Frage nach den Möglichkeiten und dem Ziel (Cui Bono), die in jeder Realität dritter Stufe zu einer wesentlichen Information wird, deren Kenntnis die Aussage über ein System nachweisbar verbessert (Bertrands Paradox)?

Und Seefahrt war nun einmal eines der frühesten nachgewiesenen Verkehrsmittel, die die Menschheit große Strecken bewältigen ließen. Ohne Seefahrt hätten – selbst bei niedrigem Meeresspiegel – die Ureinwohner von Australien nicht bis auf diesen abgelegenen Kontinent vorstoßen können, die Osterinseln wären nicht bewohnt und die ersten Amerikaner wären tatsächlich die mongolischen Völker aus Nordosteuropa gewesen (was heutzutage angezweifelt wird, denn es gab wohl eine frühere Besiedlung in Südamerika).

Die Menschheit soll bereits seit 30.000 Jahren die gesamte Welt im Griff haben, was dafür spricht, dass sie tatsächlich bereits vor 30.000 Jahren halbwegs seetüchtige Schiffsmöglichkeiten besaßen. Der Autor Dominique Görlitz experimentiert sogar erfolgreich mit solchen prähistorischen Segelschiffen. Sein Buch„Schilfboot ABORA“ berichtet davon, dass das Sternbild der Jungfrau mit einem vorägyptischen Schilfboot gut absegelbar sei und – was besonders interessant ist – dass die an der levantinischen Küste herrschenden Etesienwinde den Kurs des altertümlichen Rahseglers massiv in Richtung Nordosten verschoben hätten…

wo…

wo auch das Sternbild von der eigentlichen Küstenebene abweicht: ein deutlicher Punkt für die Hypothese, die Sternbilder seien eine Art von „Seekarte“.

Seefahrende Menschen, selbst wenn sie sich immer in Küstennähe halten, müssen schließlich navigieren können – wie wichtig Navigation ist, beweisen die sorgfältigen Aufzeichnungen über das Magnetfeld der Erde (zur Abstimmung der Kompass-Nadeln), die seit ein paar Jahrhunderten von den großen Schifffahrtsnationen erstellt werden und die heutzutage modernen Wissenschaftlern sehr viel und sehr exakten Aufschluss über das Verhalten des Erdmagnetfeldes geben können. Für Seekarten sollen die Ritter des Templerordens in Portugal sogar getötet haben und selbst die heutige Weltmacht USA erstand nur aus dem einen einzigen Grund: eine Handelsroute zu finden, also einen Seeweg zu entdecken.

Der Nutzen, den diese „absurde“ Deutung postuliert, wirkt also höchst plausibel. Nun die Frage nach der Möglichkeit: Kann es möglich sein, dass die Sterne am Himmel gerade so stehen, wie es nützlich für Menschen ist?

Und genau das ist die Frage, die die Religion erklärt.

Denn natürlich wirkt es bei einer solch passenden Konstellation, als müsste hier ein formender Wille gewirkt haben.

Und das hat er auch.

Nur ein wenig anders, als viele glauben – denn am Himmel sind über 6000 Sterne mit bloßem Auge zu sehen, Sterne, die der Zufall über Millionen von Lichtjahren im gesamten Raum um uns verteilte und die nur unsere Netzhaut auf ein zweidimensionales Muster abbildet. Die zufällige Verteilung auf unserer Netzhaut hat nichts mit den wahren Orten der Sterne zu tun und unser ständiges Bemühen als Informationsverarbeiter, ein Muster zu entdecken, wird eher über die Helligkeit der Sterne als über ihre tatsächliche Anordnung im Universum bestimmt.

Wir können deshalb alles darin finden in diesen Sternanordnungen, wenn wir nur wollen. Sie sind wie ein großer, himmlischer Rohrschach-Test, sozusagen.

Wenn nun frühzeitliche Kartographen genau das taten, was die beiden Autoren Wirth und Görlitz beschreiben, sich also die markanten Punkte einer Seestrecke zu merken und diese mit Linien zu verbinden, um den Verlauf des Kurses zu dokumentieren, dann prägte sich ihnen diese Muster sicher unvergesslich ein. Und weil Menschen als die intelligentesten Informationsverarbeiter auf Muster und Mustervergleiche geradezu optimiert sind, ist es fast kein Wunder, dass der Rohrschach-Test erfolgreich war: Die Kartographen fanden ihre Muster am Himmel wieder.

Dass alle Muster darüber hinaus so genau zusammenpassten wie ihre Pendants auf der Erde – glückte sicher nicht beim ersten Mal. Ganz im Gegenteil. Die ersten Versuche waren wahrscheinlich wie alle Versuch&Irrtum-Handlungen nicht erfolgreich bei der „globalen“ Verbindung der einzelnen Landkarten-Abschnitte. Doch wer einmal einen Erfolg versprechenden Weg gefunden hat, gibt ihn nicht so leicht wieder auf, zumal sich Seefahrer bis heute am Sternhimmel orientieren.

Nicht weil sie romantisch sind, sondern schlicht und einfach deshalb, weil Sterne im Meer das einzig halbwegs stabile Positionierungsmittel sind, das ihnen zur Verfügung steht.

Physik der Information, ISBN 3-935031-03-3,
Information und Unendlichkeit: Infinity kills information, S. 176

„Information ist schließlich immer eine Sache von Positionierung, allein wegen des unumgänglichen Vergleichs ihrer Eigenschaften, Werte und Beziehungen von Zuständen.“

Ohne Positionierung gibt es keine Orientierung – die fundamentale Bedeutung der Sterne für Menschen, die in einem wogenden, ununterscheidbaren Einerlei von Wasser unterwegs sind, ist rein unter dem Gesichtspunkt von Informationsgewinnung (die absolute Basis für das Überleben jeder Informationsverarbeitung) unbezweifelbar.

Die Strategie: Gleichartigkeitshypothese, Gleichzeitigkeitshypothese und Widerspruch, S. 200

„Frühe „Augen“ waren nur in der Lage, Licht von Dunkel zu trennen, unsere Augen können ein ganzes Spektrum von Farben in verschiedenen Stärken unterscheiden, Bienen können noch weitaus mehr und Wüstenameisen sind gar in der Lage, die Polarisationsrichtung von Licht am Himmel zu messen und für ihre Positionierung bezüglich ihres Heimatortes zu nutzen.“

Auch die Wüstenameisen haben das Problem – ununterscheidbare Einöden von Sand – und auch sie orientieren sich am Himmel, wenn auch auf eine höchst ungewöhnliche Art. Doch wie hieß es in Jurassic Park so schön? „Das Leben findet immer einen Weg“. Ohne Orientierung hätten die Wüstenameisen nicht überleben können, es hätte also einfach einen evolutionären Riegel für eine Rasse gegeben, die in die Wüste vorstößt, ohne sich darin zurechtzufinden.

Das Gleiche gilt für Menschen, die sich aufs Meer hinauswagen – und sei es nur in Küstennähe.

So absurd sich also die Theorie von Wirth und Görlitz anhört, so bietet sie doch eine Menge plausibler Erklärungen an. Zum Beispiel auch, warum Sterngucker von solcher historischen Bedeutung waren, dass sich ihre Kunst zur Religion erheben konnte.

Das ist bei ihnen schließlich nicht das erste Mal geschehen: Die Medizin, die Mathematik, die Schrift waren alles so wichtige Kompetenzen, dass sie in „Wissensdatenbanken“ und zur Lehre aufbewahrt wurden in Bild und Schrift, bis sie am Ende als Götter im Himmel landeten (Sakraldrift).

Ganz im Gegenteil könnte dies sogar ein genereller Trend sein: von der Kompetenz zum Gott. Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass die frühen Tempel überall Universitäts-Charakter hatten, also immer ein Ort waren, wo reichliches Wissen gesammelt und weitergegeben wurde.

Und wer einmal versuchte, reichliches Wissen weiterzugeben, wird rasch feststellen, dass nicht alle Menschen gleich fähig sind, zu verstehen, was dahinter steckt. Es gibt, bei allem Respekt vor der größten aktiven Informationsverarbeitung, dem Gehirn, doch deutliche Anzeichen, dass die Problembereiche des Ego sich genauso mit aktiver oder passiver Informationsverarbeitung bearbeiten lassen wie andere Probleme auch – und das viele Menschen diesen Weg auch gehen.

Menschen freilich, die nach passiver Informationsverarbeitung die Welt begreifen, müssen Einzelheiten kennen, sie müssen nicht nur die speziellen Fälle auswendig lernen, sondern auch ihre Relationen und Abfolgen untereinander. Sie sind, wie in „Dummheit siegt“ so treffend beschrieben, in wenig veränderlichen Umgebungen damit sogar im Vorteil vor den Menschen, die alles verstehen wollen, denn sie brauchen weder zu fragen noch nachzudenken, das funktioniert alles hopp, hopp „automatisch“…

und hier liegt er auch schon, der Schlüssel…

denn solchen Menschen bringst du nicht bei, nachzudenken, viele Zustände zu vergleichen, bis sich die Regeln dahinter offenbaren, das geht ihnen zu langsam, das macht zuviel Mühe, das begreifen sie nicht: „Beispiele“ wollen sie sehen, typische Beispiele, deren Muster sie sofort wieder erkennen können, um ihre Automatismen abzuspulen.

Automatismen sind aber nichts anderes als Rituale.

Das Problem dabei?

Nun ja, erstens können sie sich irren bei der Mustererkennung und schlicht das falsche Programm ausführen – und zweitens können sich Umstände ergeben, in denen sie überhaupt kein Muster erkennen können. Solange sich ihre Umwelt wenig ändert, haben solche Menschen diese Probleme recht selten, denn sie lernen rasch, die passenden Muster zu erkennen und weil sich, per definitionem, eine solche Umgebung selten etwas Neues einfallen lässt, stehen sie auch selten vor dem Problem, gar kein passendes Muster zu besitzen.

Als die Menschen die ersten Tempel bauten, war sicher ihre Umwelt nicht sonderlich veränderlich. Das ägyptische Reich beweist mit seinen Schriften eine erstaunliche Konservativität über Jahrtausende und auch Sumer oder selbst noch die Römer mussten nicht mit Zeiten wie den unsrigen rechnen, bei denen die Enkel keinen Bezug mehr zur Welt ihrer Oma haben.

Das aber – unveränderliche Umwelt – spricht immer für die Konfigurationsmethode: die Festlegung auf klare Einzelfälle und ihre genauso einzigartige, eindeutige Verarbeitung als Abfolge von Tätigkeiten.

Und wenn solch eine eindeutige Tätigkeitsfolge losgelöst vom Pragmatismus eines nutzenorientierten Handelns gesehen wird, kann sie auch „Ritual“ genannt werden.

Freilich spricht nicht nur die Einfachheit der Handhabung auswendig gelernten Wissens für eine solche Praxis, sondern schlicht und ergreifend auch die Tatsache, dass es sehr, sehr viel leichter ist, Schülern etwas einzupauken, als ihnen Verständnis und Selbstständigkeit beizubringen.

Und noch ein Punkt kommt hinzu: Anderen einfach zu sagen kann, „so wird’s gemacht“, und die anderen folgen sogar…

das ist pure Anerkennung, danach können Menschen süchtig werden.

Damit wäre die Konstellation für Rituale gegeben sowohl für die Lehrer als auch für die Bereitwilligkeit der Schüler, ihren Lehrern blind zu folgen – zusammen mit einer tief sitzenden Furcht vor Veränderung, die wohl jede intelligente Informationsverarbeitung kennt, dürften Bertrand Russells Worte sehr verständlich werden:

Religion is based, I think, primarily and mainly upon fear. It is partly the terror of the unknown and partly, as I have said, the wish to feel that you have a kind of elder brother who will stand by you in all your troubles and disputes

Und jetzt ist der Schlüssel praktisch vollständig, nicht wahr?

Der Schlüssel zum Verständnis der fundamentalen Bedeutung von Religion in menschlicher Kultur seit Erfindung der Landwirtschaft mit ihrer hohen Arbeitsteilung, ihrem Bevölkerungs- und Wissenswachstum und ihrer Erfindung „Stadt“.

Dass ihre Bedeutung im Lauf der Jahre zunahm, ist ebenfalls eine typische Erscheinung intelligenter, also aktiver Informationsverarbeitung (die das Gehirn immer ist, auch wenn das dazugehörige Ego nur in Konfigurationsmethodik funktioniert): Wiederholbarkeit ist ein originäres Zeichen von Information, also wird alles, was wiederholbar ist, als wertvoll eingestuft. So funktioniert’s nun mal, denn das Gehirn entwickelte sich zu Zeiten, als die Menschen in natürlichen Umgebungen, sprich intakten Regelkreisen lebten. In solchen Systemen reguliert die Umwelt als notwendiger Widerspruch den Schwachsinn im Kopf.

In menschlichen Kulturen dagegen kann sich, besonders bei ausgeprägten Stabshierarchien, das Phänomen des Spiegelsaals herausbilden, bei dem der Alpha von dem Puffer des „gemeinen Volkes“ vor den Auswirkungen seiner Fehler geschützt wird – und dennoch weiter „abgepuffert“ wird. Zum Ausgleich dafür schenkt sein ungebrochenes Selbstbewusstsein seinen Untertanen das Gefühl von Stärke und Macht und damit von Kontrolle über das Schicksal. Dafür opfern sie dann alles, wirklich alles und unterwerfen sich in geradezu armseliger Weise seiner Führung. Denn ihr Gehirn sagt ihnen, dass sie dem Paradox von Bertrand folgen müssen, um zu überleben, doch das Ego, besonders dasjenige, das nach der Konfigurationsmethode des Auswendiglernens funktioniert, weiß, dass es durch die Vielfalt der Welt und ihre Unbeständigkeit völlig überfordert ist. Also sucht es begierig nach dem wissenden Lehrer, der starken Hand, die es durch die trübe Dunkelheit geleitet: nach dem großen Bruder, wie Russell es nennt. Das jüngste Beispiel für eine solche Entwicklung dürfte Mr. Bush sein und die erstaunliche Bereitschaft des amerikanischen Volkes, die Gewaltenteilung und gar individuelle Freiheiten aufzugeben.

Vielleicht ist angesichts dieses realen Prozesses von Machtübergabe von der Masse an einen Einzelnen, der mit Ritualen als leicht verständlichen Erfolgsrezepten die Macht dieser Vorgehensweise demonstriert, auch klar, warum der Erfinder der „meme“, Richard Dawkins, Professor of the Public Understanding of Science at Oxford University, in seinem Buch „Viruses of the mind“ Religion als einen der mächtigsten „Geist-Viren“ überhaupt ansieht („He considers religions to be among the most powerful of these mind viruses.“ (Quelle 25.09.2004)

Der Gedanke der „meme“ ist dabei gar nicht so uninteressant: „Memes tend to make copies of themselves and are therefore “replicators”, like genes”. Denn unter dem Aspekt von Informationsverarbeitung, die immer auf der Basis von Abbildungen, also mehr oder minder exakten Kopien der beobachteten Realität funktionieren, ist eine Meme nichts anderes als ein Stück „Wissen“, eine Abbildung im Sinne der Informationsverarbeitung, die auch immer den dynamischen Anteil der Information berücksichtigt. Was noch prächtig zu „Wissen“ passt, ist die Tatsache, dass Memes „are stored in human brains and passed on by imitation.“

Gespeichert im menschlichen Hirn und weitergegeben durch Nachahmung – genau der Punkt der „einfachen“ Lehre durch Automatisierung.

Nicht umsonst nennt Dawkins als Beispiel für memes „ways of making pots or of building arches“.

Und so, um in den Fußstapfen von Bertrand Russell zu bleiben:

"If you think that your belief is based upon reason, you will support it by argument, rather then by persecution, and will abandon it if the argument goes against you. But if your belief is based on faith, you will realize that argument is useless and will therefore result to force either in the form of persecution or by stunting and distorting the minds of the young in what is called "education"

Information und die Bedingungen und Vorteile, die sie an Informationsverarbeitungen stellt, sind nicht nur in der Lage, die Entwicklung von Zellen und Genen zu erklären, sondern auch von Gehirnen, Sprache und kulturellen Erscheinungen. Und da keine Informationsverarbeitung ohne Ziel existieren kann, ist eine wesentliche Hilfe zu einer plausiblen Erklärung von Vorgehensweisen lebendiger, sprich informationsverarbeitender Systeme…

das Motiv.

So lässt sich sogar für die merkwürdigsten Vorkommnisse in menschlichen Kulturen in der Regel eine Ursache finden, die zumindest zum Zeitpunkt der Entstehung des Rituals Sinn machte. Das lässt sich sogar schon bei Schimpansen beobachten, geboren aus der Nachahmungstechnik des Lernens.

Physik der Information, ISBN 3-935031-03-3,
Der Ursprung der Kultur, S. 48

„So soll ein kluger, junger Schimpanse, von seinem Experimentator „der Professor“ genannt, eine Methode gefunden haben, sich einen Apfel außerhalb seiner Reichweite vor dem Zaun des Versuchsgeländes mit einem Holzstöckchen zu angeln und durch den Maschendraht heranzujonglieren. Die anderen Gruppenmitglieder versuchten diesen Erfolg durch Nachahmung ebenfalls zu erreichen, es gelang freilich nur sehr wenigen. Die meisten stocherten nur wild und planlos mit dem Holzstöckchen herum. Der Apfel war indessen ein so motivierender Gegenstand, dass dieses Holzstöckchen sich verselbstständigte und das Stochern zu einer Art Ritual oder Kulturgut dieser Schimpansenherde geworden sein soll, auch als längst kein Apfel mehr vor dem Zaun lag. Die Moral von der Geschicht’: Auch hinter den seltsamsten Überbleibseln steckt ein plausibler Grund.“

Vielleicht hat sich dieser oder jene schon gefragt, wieso Menschen, die doch augenscheinlich mit den überwiegend friedlichen Primaten verwandt sind, die in ihren frühen Kulturen egalitär, naturverbunden und gerechtigkeitsbewusst waren, sich zu Staaten eines Hitlers, Stalins, Idi Amins oder Ajatollah Khomeinis entwickeln konnten, wieso sie Inquisition und Geheimpolizei, Gehirnwäsche und Folter im ganz großen Stil praktizieren, ohne die jeweiligen Barbaren mit Erinnyen, Furien und der Nemesis persönlich zu verfolgen.

Doch vermutlich fragten sich das nur sehr wenige, denn…

es ist selbstverständlich, Führer zu haben.

Könige, die die oberste Gerichtsbarkeit ausüben, Päpste, die die Lehre kontrollieren…

und beide mit einer üppigen Ausstattung an Gewalt, um ihren Willen durchzusetzen: Macht.

Selbstverständlichkeit: Führer müssen Macht haben, um das Chaos der Masse zu bewältigen. Untertanen müssen gehorchen, weil die Führer die einzigen sind, die den Überblick haben – und die Macht, natürlich, ihnen zu schaden. Und das ist gut so, denn gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.

Viele Archäologen glauben bis heute, dass die straffe Hierarchie der Könige und Päpste die Voraussetzung für das ist, was wir Hochkultur nennen: fortgeschrittenes technisches Know How, hohe Arbeitsteilung, Städte mit hoher Bevölkerungsdichte, differenzierte Kommunikation über weite Strecken – Reichtum.

Ihr Grund ist: „Es war schon immer so“ – Selbstverständlichkeit.

Eine Selbstverständlichkeit, die Probleme mit Harappa und Mohendjo-Daro hat und die den „Spiegelsaal“ erzeugt.

Der Grund „Information“ weist dagegen (ohne Widerspruch zu Harappa) auf einen weitaus längeren Entwicklungsrahmen hin, auf die Grundstruktur von Informationsverarbeitungen, auf ihre Taktiken, mit dem Leben fertig zu werden, sprich Information als Basis des eigenen Überlebens aus der Umwelt zu extrahieren, auf die Probleme und Grenzen solcher Strategien und auf die evolutionären Erfordernisse, um diese Grenzen zu überwinden.

Principles behind the Agile Manifesto
The best architectures, requirements, and designs emerge from self-organizing teams

Diese Gründe sprechen für das genaue Gegenteil der Hypothese, dass Menschen Führer brauchen, Bosse, wie wir sie kennen (wobei die Notwendigkeit von Entscheidungsstellen sicher nicht bezweifelt wird: ML-Methode). Nicht einmal bei den Primaten ist das allgemeiner Standard: Die Bonobos, die intelligentesten, kleinsten und dem Menschen am nächsten verwandten Affen kennen keine Alphas.

Jede dieser so genannten Hochkulturen, die auf Aristokratien, zynisch gesprochen auf Alphamännchen-Struktur, basieren, baute sich selbstverständlich auf dem Wissensgrundstock auf, den ihre weniger herrschsüchtigen Vorgängerkulturen erwarben. Warum weniger herrschsüchtig? Weil sie sonst selbst zur Hochkultur hätten aufsteigen können mit ihrer Technologie. So stammte das medizinische Wissen, das den Ägyptern gar erfolgreiche Gehirnoperationen ermöglichte, aus ihren früheren Epochen (mind. 2.600 v. Chr.). Auffällig ist, so meinte einmal ein Mediziner, dass sich seit jenen frühen Tagen kein Fortschritt mehr zeigte – echter Fortschritt in Herrschaftskulturen gibt es bis heute überwiegend in der Waffentechnologie, die Raub zum erfolgreichsten Erwerbszweig macht und Krieger – als Räuber und Verteidiger – zur höchsten Klasse aufsteigen lässt: Der Krieg ist Vater aller Dinge, heißt es bis heute bei uns.

Vielleicht ist gerade deshalb die Fähigkeit der Harappa-Kultur, die menschliche Gier im Zaum zu halten, auch der Grund, warum sie nicht an selbst gemachter Umweltzerstörung unterging wie viele andere Hochkulturen. Diese großartige Zivilisation verlor sich eher langsam in der Geschichte – nach und nach verfiel ihre Kunst des Städtebaus. Eine Erklärung dafür ist, dass tektonische Verwerfungen den Indus stauten, sodass Mohendjo-Daro, wohl das Zentrum der Kultur, ständig erhöht werden musste. Was zuerst nach langsam fortschreitender Degeneration ausgesehen habe, entpuppe sich nun als heroischer Kampf einer Stadt ums Überleben gegen Naturgewalten, heißt es gar an einer Stelle. Dass ein solcher Jahrhunderte langer Wiederaufbau selbst die reichste Kultur erschöpfen kann, ist fast kein Wunder.

Wir werden dazu nicht in der Lage sein – die Fluten und Dürren, die wir unserer giergetriebenen, Zukunft verachtenden Bananenhaufen-Mentalität verdanken, werden uns in viel weniger als 600 Jahren ins Mittelalter, wenn nicht noch weiter zurück katapultieren – vielleicht sind wir gar „in der Lage“, dem großen Kometen Konkurrenz zu machen in seiner Fähigkeit, Rassen aussterben zu lassen und das Gesicht der Erde zu verändern.

Alles nur wegen unseres Versagens, mit den Folgen unserer eigenen Intelligenz fertig zu werden.

Und kein Deus Ex Machina wird daran etwas ändern, genauso wenig wie vor fünfhundert Jahren.

Glaube hat noch nie Berge versetzt
- höchstens Misthaufen.
Und auch das nur, wenn ein Mensch schaufelte.

Das war schließlich genau der wohl belegte Grund für die Renaissance, nicht wahr? Zweihundert Jahre Beten und gar Töten als Opfergabe hatten die Pest nicht besiegen können, erst die Anfänge von moderner Medizin – besonders Hygiene, der „Religion von Harappa“ - waren dazu in der Lage.

So steht also als Erklärungsmodell Religion gegen Informationsverarbeitung…

was wird die Oberhand behalten?



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© bussole IV 2004 (außer Zitate)

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